Die Chatkontrolle ist der größte Angriff auf unsere Bürgerrechte der letzten Jahrzehnte. In den letzten Wochen gab es immer mehr öffentliche Diskussionen und Aufmerksamkeit für das Thema und der Wind dreht sich langsam. Nachdem es anfangs unter den EU-Mitgliedstaaten kaum Widerstand gab, haben sich mit dem Gutachten des juristischen Dienstes des Rates jetzt erste Bedenken entwickelt, weshalb mich viele Fragen, wie die aktuellen Entwicklungen in Brüssel zum Thema sind.
Ich habe mich daher entschieden jetzt regelmäßig ein ausführliches Update zur Chatkontrolle zu geben. Ich möchte damit über Entwicklungen in den Verhandlungen auf dem Laufenden halten, neue Expertenmeinungen vorstellen und zeigen, was jeder Einzelne tun kann, um die Chatkontrolle zu verhindern.
Im Gesetzgebungsprozess der EU müssen immer Rat – also die Regierungen der Mitgliedstaaten – und das EU-Parlament zustimmen. Nachdem die EU-Kommission ihren Vorschlag gemacht hat, arbeiten also jetzt Rat und Parlament an ihren Positionierungen. Anschließend müssen Rat und Parlament einen gemeinsamen Kompromiss finden und auch der muss wieder von Rat und Parlament beschlossen werden. Wenn das jetzt für manche kompliziert klingt: Genau deshalb halte ich ab jetzt hier immer auf dem Laufenden über die Verhandlungen. Gleichzeitig gibt es durch diesen Gesetzgebungsprozess die Chance, Veränderungen am Vorschlag zu bewirken und auch bis ganz zum Schluss noch den gesamten Vorschlag abzulehnen. Es lohnt sich also dran zu bleiben.
Aktuell finden im EU-Parlament die Verhandlungen über den Kompromisstext statt. Wir Abgeordnete haben zum Vorschlag der Kommission 1909 Änderungsanträge eingebracht. Jetzt geht es darum, eine gemeinsame Position zu finden. Das wird schwierig, da die Änderungsanträge teilweise in sehr unterschiedliche Richtungen gehen und die Fraktionen im Europäischen Parlament sehr gespalten sind. Eine solche Spaltung in fast allen Fraktionen habe ich bei einem Gesetzesentwurf noch nicht gesehen. Das zeigt: der Vorschlag ist sehr kontrovers und wahrscheinlich werden die Verhandlungen und finalen Abstimmungen im Parlament schwierig.
Auch ich habe viele Änderungsanträge zum Kommissionsentwurf geschrieben. Meine Änderungen zielen zum Beispiel darauf ab, den Anwendungsbereich der Überwachung wirklich ausschließlich auf Verdächtige zu begrenzen. Eine allgemeine Überwachung unserer Kommunikation würde sonst das digitale Briefgeheimnis untergraben und die Unschuldsvermutung in Frage stellen. Ich habe außerdem einen neuen Absatz zum Schutz der Privatsphäre eingefügt. Damit müssen Verschlüsselung und anonyme Internetnutzung voll gewährleistet bleiben. Netzsperren und Client-Side-Scanning dürfen nicht verpflichtend werden.
Gleichzeitig ist der Vorschlag der EU-Kommission weiterhin so unausgegoren, dass ich selbst bei der Verbesserung des Vorschlags durch Änderungsanträge skeptisch bleibe, ob das Ergebnis am Ende im Einklang mit Bürgerrechten wäre und Kinder wirklich schützen könnte. Daher habe ich auch einen Antrag gestellt, den ganzen Vorschlag der Kommission zurückzuweisen und umfassend neu zu überarbeiten.
Die Verhandlungen werden auf jeden Fall schwierig. Mit einer finalen Positionierung des Innenausschusses des Parlaments ist nach derzeitigem Stand nicht vor der Sommerpause zu rechnen. Einen endgültigen Kompromiss mit allen Mitgliedstaaten wird es frühestens Ende des Jahres geben.
Was die Chatkontrolle für verschlüsselte und damit sichere private Kommunikation bedeuten würde, ist diese Woche in einem Interview im SPIEGEL deutlich geworden. Darin hat die Chefin der Messanger-App Signal, Meredith Whittaker, mit einem Rückzug aus der EU gedroht, sollte die Chatkontrolle beschlossen werden. „Wenn wir am Ende vor der Wahl stehen, unsere Verschlüsselung zu schwächen und Massenüberwachung zu unterstützen oder die EU zu verlassen, dann gehen wir.“ Diese absolut nachvollziehbare Position macht deutlich, was ein solches Gesetz für sichere Kommunikation in Europa anrichten würde. Es gibt keine Ende-zu-Ende Verschlüsselung nur für die Guten. Wer Verschlüsselung angreift, macht damit alle Kommunikation unsicherer. Und Signal ist nicht alleine – auch WhatsApp und Threema haben gemeinsam mit Signal in einem offenen Brief die britische Regierung aufgerufen, ihren „Online Safety Bill“ zu ändern und Verschlüsselung nicht anzugreifen. Das britische Gesetz sieht ähnlich der EU-Chatkontrolle eine Überwachung und Schwächung der Verschlüsselung vor. Die Chatkontrolle ist also nicht nur ein EU-Hirngespinst, leider gibt es ähnliche Überwachungspläne auch in anderen Ländern.
Bundesjustizminister Marco Buschmann hat am Rande des Rates der Justizminister in der letzten Woche noch einmal klargemacht. „Eine Chatkontrolle hat im Rechtsstaat nichts zu suchen.“ Leider werden die Verhandlungen im Rat federführend vom Innenministerium geführt. Hier muss Deutschland weiter Druck machen, die Chatkontrolle zu stoppen.
In einer Demokratie sind alle gefordert, ihre Meinung zu sagen. Öffentliche Diskussionen, Demonstrationen, Diskussionen mit Entscheidungsträgern – all das hilft, um die Politik in einer Demokratie zu beeinflussen. Wenn man sich also jetzt fragt: was man noch gegen die Chatkontrolle tun kann? EU-Abgeordnete anschreiben, mit Freunden und Bekannten über den Vorschlag sprechen und versuchen, auch sie davon zu überzeugen gegen die Chatkontrolle zu kämpfen. Gemeinsam können wir es schaffen, dass die EU sich und ihren Werten treu bleibt und unsere Bürgerrechte schützt.
Ich hoffe mein erstes Update zur Chatkontrolle konnte die wichtigsten Aspekte beleuchten. Ich freue mich auf Feedback, Fragen und Hinweise, welche Punkte ich im nächsten Update erklären oder vorstellen sollte.